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8. Oktober 1999 — 37 Jahre

Hans-Werner Gärtner war 37 Jahre alt, als er am 8. Oktober 1999 in Löbejün (Saalekreis) und Umgebung von drei Männern zu Tode gequält wurde.

 

Wer war Hans-Werner Gärtner?

Bekannte beschreiben Hans-Werner Gärtner als freundlichen, schüchtern wirkenden Mann, der nach einer Hirnhautentzündung in jungen Jahren eine leichte geistige Behinderung zurückbehielt und deshalb oft „zu vertrauensselig“ gewesen sei. Dennoch gelang es Hans-Werner Gärtner erfolgreich, die Schule und eine Ausbildung zum Gärtner abzuschließen und ein überwiegend selbstständiges Leben zu führen. Einige Zeit vor seiner Ermordung hatte Hans-Werner Gärtner eine Anstellung verloren. Er verbrachte viel Zeit damit, seinem Onkel bei dessen kleiner Landwirtschaft zu helfen und auf öffentlichen Grünflächen und in Lebensmittelcontainern Futter für dessen Kleintiere zu sammeln, welches er in seinem Fahrradanhänger transportierte.

 

Was ist passiert?

In der knapp 2.200 Einwohner*innen-Stadt Löbejün war der Alltag Hans-Werner Gärtners von Beleidigungen als „Dorfdepp“ und Ausgrenzung geprägt. Zwei seiner späteren Mörder aus Löbejün, beide 26 Jahre alt, trafen sich im Sommer 1999 mit weiteren Gleichaltrigen des Öfteren an einer Bushaltestelle, wo sie vermeintlich schwächere Passant*innen beleidigten und nicht selten auch mit Gummiknüppel, Baseballschläger oder einem sog. Totschläger bedrohten.

Hans-Werner Gärtner quälten die beiden mehrfach, so auch am Abend des 5. August 1999, wo sie den 37-Jährigen erst verspotteten und schließlich mit einem Schlagstock mit Eisenkette, Faustschlägen und Fußtritten erheblich verletzten. Den lauten Hilfeschreien Hans-Werner Gärtners folgte niemand. Schließlich gelang ihm die Flucht. In der Hoffnung, von der Polizei geschützt zu werden, erstattete er Strafanzeige. Im Krankenhaus wurden u.a. Nasen- und Jochbeinbrüche, mehrere Prellungen sowie ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert, sodass Hans-Werner Gärtner sechs Tage stationär behandelt werden musste. Auch danach litt er noch wochenlang unter Schmerzen.

Als er den Angreifern das nächste Mal begegnete, wurde Hans-Werner Gärtner unter Anspielung auf die Tat mit schneidendem Unterton gefragt, ob er noch lebe. Ein anderes Mal beleidigte einer der 26-Jährigen ihn beim Futtersammeln an einem Supermarktcontainer, riss Gurken und Tomaten vom Fahrradanhänger und trat heftig zu. Aus Angst vor weiterer Gewalt ging Hans-Werner Gärtner mehrfach zur Polizei, wo er über Personen- und Wohnortbeschreibungen bei der Tätersuche mitzuhelfen versuchte. Er schaltete auch einen Anwalt ein und bat eine Sozialarbeiterin um Unterstützung, die ihn auch zu einer Zeugenvernehmung begleitete.

Als einer der 26-Jährigen am 7. Oktober als Beschuldigter vernommen wurde, bekam er mit, dass sein Freund noch nicht namentlich bekannt war. Als sich die beiden nach der Arbeit trafen, waren sie höchst verärgert über die Anzeige und mögliche weitere, daraus resultierende Konsequenzen, zumal sie das Hans-Werner Gärtner gar nicht zugetraut hätten. Noch in dieser Nacht gegen 1 Uhr trafen die beiden mit einem 24-jährigen Freund aus Halle beim Alkoholkauf an einer Löbejüner Tankstelle zufällig auf Hans-Werner Gärtner. Der 37-Jährige versuchte, mit seinem Fahrrad zu flüchten, wurde aber von dem Trio eingeholt, zu Boden geschlagen und u.a. mit Fußtritten ins Gesicht misshandelt, offenbar ohne dass die Tankstellen-Angestellte etwas bemerkte. Anschließend schleifte das Trio Hans-Werner Gärtner zu einem Gully, stieß ihn in das 1,50 m tiefe Loch und schob den eisernen Deckel zu.

Als die Täter den völlig verängstigten und verschmutzten Hans-Werner Gärtner schließlich wieder herauszogen, verspotteten sie ihn wegen des Geruchs, den er angenommen hatte und kündigten an, ihn zu „säubern“. Dazu zwangen sie den 37-Jährigen in den Kofferraum und fuhren zum Löbejüner Steinbruch. Dort stießen sie ihn ins kalte Wasser, hinderten ihn mit Stößen und Tritten daran heraus zu kommen und drückten auch mehrfach seinen Kopf unter Wasser. Als es Hans-Werner Gärtner schließlich doch gelang, blieb er völlig erschöpft, erheblich verletzt und vor Kälte zitternd liegen. „Den bringen wir um, der ist nicht lebensfähig“, habe einer der 26-Jährigen gesagt, so seine Mittäter später im Prozess.

Angesichts der massiven Verletzungen sowie der drohenden, strafrechtlichen Konsequenzen bei erneuter Anzeige beschloss das Trio schließlich, Hans-Werner Gärtner zu töten. Dazu wurde er erneut in den Kofferraum gezerrt und zu einer Kiesgrube am Wörbziger See gefahren. Dort schleppten die Täter ihn zu einer Metallschranke, schlugen seinen Kopf dagegen und malträtierten ihn weiter mit Schlägen und Tritten. Währenddessen flehte Hans-Werner Gärtner erneut erfolglos darum, ihn endlich in Ruhe zu lassen.

Um den Tod wie eine interne Auseinandersetzung mit dem im Ort als „Außenseiter“ geltenden Hans-Werner Gärtner aussehen zu lassen, zwangen sie ihn erneut in den Kofferraum und fuhren zu einer abseits an einem Feld gelegenen Ortsverbindungsstraße zwischen Schlettau und Domnitz. Dort schlug einer der 26-Jährigen u.a. mit einer aus einem Zaun gerissenen Holzlatte so auf Kopf und Oberkörper Hans-Werner Gärtners ein, dass sie zerbrach. Dann schlugen und traten die Männer immer wieder auf Kopf und Oberkörper ihres Opfers ein und ließen ihn schließlich zum Sterben zurück. In den frühen Morgenstunden erlag der 37-Jährige seinen schweren Schädel- und weiteren Verletzungen am ganzen Körper. Ein Traktorfahrer fand ihn gegen 8 Uhr morgens, bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

 

Der Prozess gegen die Täter

Der Gerichtsprozess gegen die drei Angeklagten am Landgericht Halle (Saale) begann am 4. Mai 2000. In der 24-tägigen Hauptverhandlung wurde das extrem rechte Weltbild insbesondere des 26-jährigen Haupttäters deutlich, der gegenüber seinen Mittätern erklärt hatte, Hans-Werner Gärtner sei ja ohnehin „nicht normal” gewesen und habe es deshalb „nicht verdient zu leben“.

Am 20. September 2000 verurteilte die 1. große Strafkammer am Landgericht Halle alle drei Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen. In seiner etwa einstündigen mündlichen Urteilsbegründung charakterisierte der Vorsitzende Richter Klaus Braun das brutale Vorgehen als „sinnlose und niederträchtige Tat an einem Schwächeren, der am Rande der Gesellschaft stand“. Nach dem Angriff im August hätten die Angeklagten beschlossen, „dem Opfer auf ihre Weise eine Lektion zu erteilen, weil der Mann sich gewagt hatte, sich ihnen zu widersetzen“, so der Richter weiter. Die Staatsanwaltschaft Halle hatte lediglich auf Freiheitsstrafen zwischen 11 und 12 Jahren wegen Totschlags plädiert.

 

Öffentliches Gedenken

Bis auf einige Online-Gedenkinitiativen wie KeinVergessen oder die der Mobilen Opferberatung, die u.a. mit Gedenkposts in sozialen Medien an den Todestagen an das Schicksal Hans-Werner Gärtners erinnern, ist bislang kein darüber hinaus gehendes, öffentliches Gedenken an ihn bekannt.

 

Hans-Werner Gärtner wird erst seit dem Jahr 2012 durch die Landesregierung Sachsen-Anhalts offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.